Nackte Zahlen

 

Im Jahr 2019 nahmen sich durchschnittlich 25 Personen am Tag das Leben, insgesamt 9.041 Schicksale. Männer nehmen sich mit einem Anteil von 76% deutlich häufiger das Leben als Frauen. Zum Zeitpunkt der Selbsttötung lag das Alter der Mehrheit zwischen 50 und 60 Jahren.*

Über 90% der Suizide sind bedingt durch psychische Störungen, in erster Linie durch Depression gefolgt von Persönlichkeitsstörungen.**

 

 

Depression ist eine Krankheit.

 

 

Ein Großteil der Bevölkerung hat von Depressionen schon gehört. „Burn out“, das ist doch der Modebegriff für Depression, wird oftmals gesagt. Doch Burn out ist eine Syndrom, als Folge von chronischem Stress, jedoch keine psychische Störungen im eigentlichen Sinn. Erst wenn eine Person aufgrund dieser Belastungen eine affektive Störung entwicklt, spricht man von einer Depression.

Doch eine Vorstellung davon, welches psychische Leiden diese Krankheit über viele, viele Jahre nach sich ziehen kann, haben die Wenigsten, wenn sie nicht durch das persönliche Umfeld selbst betroffen sind.

Über die Ursachen der Depression wird viel diskutiert. Da kommen genetische Faktoren, neurobiologische Ursachen oder insgesamt kritische Lebensereignisse ins Spiel.

Hinsichtlich der Altersgruppe ist Depression kein Thema, das nur ältere Menschen betrifft. Im Gegenteil – das Ersterkrankungsalter liegt bei der sogenannten bipolaren Depression (manisch-depressive Störung) bei 17 – 30 Jahren, bei der unipolaren Depression bei 30 – 45 Jahren.**

Und da gibt es den Einen oder Anderen, der nun der Meinung ist, dass „diese Probleme mit der Depression hausgemacht“ sind. Oder sich der Betroffene einfach mal wieder „anstelle“. Manchmal glaubt man gar, dass es eine Zeiterscheinung ist,  von Depression zu sprechen in Zusammenhang von beruflicher und/oder privater (Über-) Belastung. Oder?

 

Ein betroffener Angehöriger erzählte mir kürzlich:

 

Wenn du einen komplizierten Splitterbruch am Bein hast, dann sieht das jeder und sagt: „Oh Gott, das sieht ja schlimm aus!“ Aber eine Depression sieht dir keiner an und spätestens nach einigen Wochen wird dir erzählt: „Jetzt reicht es aber! Du musst dich zusammenreißen.“

 

 

Klingt das alles provokativ? Wenn ja, das soll es auch…

Die oben genannten Zahlen sollen wachrütteln und sensibilisieren auf das ausgeprägte Suizidrisiko in Zusammenhang mit einer schweren, chronischen Depression.

 

 

Suzidversuch

 

 

Ist die geplante Selbsttötung nicht gelungen, spricht man von einem Suizidversuch. Hier brauchts neben den Erste-Hilfe-Maßnahmen und der folgenden klinischen Behandlung auch eine weiterführende Therapie.

Auch wenn es in manchen Momenten verdammt schwerfällt für die Angehörigen, sollte die Kontaktaufnahme und das Gespräch sehr schnell wieder aufgenommen werden noch folgenden Schritten:

 

Schritt 1:  Ich bin da! Ich bin bereit, dich zu akzeptieren. Ich muss es nicht gutheißen. Doch werde ich dich akzeptieren.

Schritt 2: Ich bin bereit, dir zuzuhören.

Schritt 3: Wiederherstellen erster sozialer Beziehungen durch Freunde, Familienmitglieder, Mitpatienten etc. Sollte sich der Betroffene in einer sozialen Krisensituation befinden ist es unumgänglich, ihn (zumindest vorübergehend) aus dieser Situation herauszunehmen.

Schritt 4: Vermeidung von Bagatellisierung oder „Nicht-Drüber-Sprechen-Wollen“. Achte auf Ängste im Zusammenhang aus dem Geschehen.

Gerade das Sprechen über Gedanken und Gefühle führt zu Entlastung und zum aufbrechen der Isolation.

 

 

Suzid

 

 

Ist die Tragödie des Suizid geschehen, ist es wichtig zu wissen und zu verstehen:

Dieser Suizid ist nicht passiert, weil sich zu wenig gekümmert wurde! NEIN, größtenteils haben Angehörige über viele, viele Jahre alles erdenkliche versucht um diese Katastrophe zu verhindern. Das Unfassbare steht ihnen ins Gesicht geschrieben und ein Gefühl des Versagens schleicht sich ein. Oftmals sind die Betroffenen selbst am Ende ihrer körperlichen und emotionalen Kräfte. Angehörige haben meist über einen langen Zeitraum, ihre eigenen Bedürfnisse hinten angestellt. Ihr eigenes Leben und vieles, was ihnen selbst wichtig war.

Außerdem ist es ganz wesentlich, dass der, sich selbst getötete Mensch und dessen Handlung NICHT als egoistisch, selbstsüchtig oder gar gewissenslos abgestempelt wird. Das ist nicht einfach!

Die wenigsten Menschen suizidieren sich aus dem Affekt heraus. Ein Suizid ist zumeist über einen längeren Zeitraum geplant. Eigentlich sollte man glauben, dass kurz vor der Tat dem Betroffenen Angst und Unruhe überfällt. Doch genau das Gegenteil ist der Fall. Angehörige berichten, dass der Eindruck entstand, dass es „Davor“ irgendwie besser wurde. Vielmehr tritt in den Tagen vorher Ruhe und Klarheit ein.

 

 

Abschied

 

 

Gerade nach einem Suizid ermuntere ich Angehörige Abschied zu nehmen am offenen Sarg, so weit als möglich. Selbst bei starken Verletzungen kann vielleicht nur eine Hand, in die eigene genommen und letzte Worte gesagt werden. Es können liebevolle Geschenke, gemalte Bilder und selbstgeschrieben Zeilen mitgegeben werden, wenn Worte versagen. Vielleicht ist es die Zeit für eine Liebeserklärung oder vielleicht… die Zeit zu sagen, dass es nun reicht.

Manchmal brauchts auch noch ein besonderes Abschieds- oder Dankesritual um Loslassen zu können und damit in einen gesunden Trauerprozess zu kommen.

 

 

Meinen Hut ziehe ich vor Hape Kerkeling, der den Suzid seiner Mutter überwand, mit dem Film „Der Junge muss an die frische Luft“. Als Junge musste er hilflos mit ansehen, wie die Mutter dem Leben entgleitet. Ein essenzieller Satz lautet:

 

„Manchmal denke ich, ich hätte mich mehr anstrengen müssen!

So wie der Opa, der nach Kriegsende über 300 Kilometer durch den Schlamm nach Hause lief, um seine geliebte Änne wiederzusehen..

 

 

Wie sind deine eigenen Erfahrungen in privater und/oder beruflicher Sitution? Schreibe mir gerne in den Kommentar.

*destatis.de (Statisches Bundesamt)

**Duale Reihe: Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie – 6. Auflage / Autoren: Hans-Jürgen Möller, Gerd Laux, Arno Deister

Wie kann ich dir weiter helfen? Schreibe mir!

 

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